Fünf Säulen der Identität

Das Modell “Fünf Säulen der Identität” ist mir vor vielen Jahren in meinem Studium begegnet und ich arbeite auch heute noch sehr gerne im Coaching damit. Es bildet die Komplexität des Lebens anhand von 5 Lebensbereichen so kompakt und fundiert ab, dass es einfach zu verstehen ist und als Selbstreflexionstool viele Erkenntnisse ermöglicht. Es zeigt dir, in welchen Bereichen deine Stärken und Ressourcen liegen und welchen Bereichen du möglicherweise mehr Aufmerksamkeit widmen solltest. 

 Wenn du weniger an Hintergründen interessiert bist, dann springe direkt mit deiner Aufmerksamkeit zu „Reflexion“ falls du etwas mehr über die Grundannahmen, die dem Modell zugrunde liegen, wissen möchtest, dann lies einfach weiter. 

Hintergrund

Entwickelt wurde das Modell von Hilarion Petzold, Psychologe, Mitbegründer des Fritz-Perls-Institut und Begründer der Integrativen Therapie. Diese Therapieform hat sich aus wesentlichen Therapieformen und -methoden entwickelt, indem sie deren allgemeine Wirkmomente untersucht hat und daraus Konzepte und Praxisstrategien entwickelt hat, die mehrperspektivisch die fortwährende Entwicklung berücksichtigen.

 Das Modell der Fünf Säulen der Identität basiert folglich auf einem ganzheitlichen Verständnis: Der Mensch ist eine Einheit aus Körper, Seele und Geist. Er bewegt sich in einem bestimmten Umfeld, entwickelt und verändert sich im zeitlichen Verlauf des Lebens. Demnach ist Identität nichts Statisches, sondern ein lebenslanger Prozess, der ständig neue Stufen der Persönlichkeitsentwicklung durchläuft und dabei Erfahrungen aus dem Kontakt, Konfrontation und Interaktion des Menschen mit anderen Individuen sowie Gesellschaft und Kultur im Allgemeinen einbezieht. Identität ist folglich nach Petzold gestaltet und gestaltbar. 

Sich in seinem Lebensganzen verstehen zu können, in jedem Hier-und-Jetzt Gelebtes und Erwartetes zur Verfügung zu haben, ist eine Voraussetzung für ein klares Selbsterleben, eine prägnante Identität. 

Hilarion Petzold

Aber was meinen wir, wenn wir von Identität sprechen?

Identität ist kein einheitlich definierter Begriff, aber man kann sagen, dass sich die Identität aus Einstellungen, Gefühlen und Verhaltensweisen zusammensetzt, die auch bei wechselnden äußeren Umständen relativ einheitlich bleiben. Es ist das Bild und das Gefühl, das ich von mir selbst habe. Es entsteht aus dem Zusammenspiel von Identifikation (wie sehe ich mich selbst“) und Identifizierung (wie werde ich von anderen gesehen?). 

Die “Fünf Säulen der Persönlichkeit” stellen die 5 identitätsstiftenden Lebensbereiche dar: 

  • Arbeit & Leistung
  • Materielle Sicherheit
  • Gesellschaft & Soziales
  • Körper & Gesundheit
  • Werte & Sinn

Diese Lebensbereiche sind wie Säulen eines Hauses – deshalb spricht man auch manchmal vom Lebenshaus. Wenn die Säulen gut ausgebildet sind, tragen sie dich auch in Krisenzeiten. Du bist stabil. Wenn die Säulen sehr ungleichmäßig ausgebildet sind, eine oder mehrere beschädigt sind, dann wird dein Identitätserleben geschwächt. 

Reflexion

Wenn du Lust hast, kannst du deine momentane Befindlichkeit mit den “Fünf Säulen der Identität“ reflektieren. Dazu nutzen wir das Modell als Lebensweltanalyse. Wir laden dich ein, die einzelnen Bereiche anhand einiger Fragen zu reflektieren und einfach subjektiv aus dem Bauch heraus auf einer Skala von 0 (überhaupt nicht ausgeprägt) bis 10 (sehr stark ausgeprägt) zu bewerten. Die Fragen dienen dir dabei einfach als Anregung die Weite des Feldes zu erkunden. Vielleicht möchtest du dir dazu unser Template herunterladen, dann kannst du dir die Fragen/ Aussagen einfach beim Lesen durch den Kopf gehen lassen und dann direkt deine Bewertung in das Modell einzeichnen.

Hier geht es zum Template!

 Also …jetzt geht es los: 

 Arbeit und Leistung: In diesem Bereich geht es um Anerkennung, die berufliche Erfüllung, die eigene Leistungsfähigkeit, um geistige Herausforderungen und Perspektiven. 

  • Wie erfüllend ist deine berufliche Tätigkeit und erachtest du sie als sinnvoll und wichtig?
  • Wirst du für deine Arbeit geschätzt?
  • Wie zufrieden bist du mit deinen Fortschritten und Erfolgen?
  • Kannst du deine Stärken in deiner beruflichen Tätigkeit ausüben?
  • Oder gibt es ein Hobby oder eine ehrenamtliche Tätigkeit, in der du deine Stärken ausleben kannst?
  • Kannst du deine beruflichen Fähigkeiten und Fertigkeiten auch in Zukunft ausüben?
  • Lässt dir deine Arbeit auch für andere Dinge Freiraum?
  • Gehst du gerne zur Arbeit, bist du zufrieden?
  • Wünschst du dir in deinem Beruf eine Veränderung? Wenn ja, welcher Art?

Wie bewertest du den gesamten Lebensbereich ganz subjektiv auf einer Skala von 0-10? Mache deine Bewertung in der Visualisierung deutlich.

Materielle Sicherheit: Dieser Lebensbereich spiegelt den Lebensstandard wider. Hier geht es um Themen wie Geld, finanzielle Absicherung / Unabhängigkeit, Einkommen, Vermögen, Wohnung, Eigentum, Haus, Garten, räumliche Umgebung.

  • Wie ist deine aktuelle finanzielle Situation?
  • Wie kommst du mit deinen monatlichen Einnahmen und Ausgaben zurecht?
  • Welche materiellen Dinge benötigst du, um glücklich zu sein?
  • Hast du die notwendigen finanziellen Ressourcen, um dir deine Wünsche zu erfüllen?
  • Wie schätzt du deine materielle und finanzielle Zukunft ein? Was für Gefühle löst sie in dir aus? Ein Gefühl von Sicherheit oder ein Gefühl von Unsicherheit?
  • Hast du alles was du zum Leben brauchst?
  • Ist deine Umgebung für dich Kraft spendend oder stört dich etwas?
  • Kannst du dich in deiner Umgebung entfalten?

Wie bewertest du den gesamten Lebensbereich ganz subjektiv auf einer Skala von 0-10? Mache deine Bewertung in der Visualisierung deutlich.

Gesellschaft & Soziales: Dieser Bereich spiegelt die Beziehungen zu unterschiedlichen Menschen wider. Es geht um Familie, Partnerschaft & Liebe, Freundschaft und alle weiteren sozialen Kontakte.

  • Empfindest du deine Freundschaften, deine Familienbeziehungen, deine Beziehung als erfüllend?
  • Fühlst du dich in der Gesellschaft deiner engsten Bezugspersonen wohl? Kannst du du selbst sein?
  • Verbringst du Zeit mit den Menschen, die du wirklich schätzt?
  • Gibt es Menschen, auf die du dich immer verlassen kannst?
  • Hast du Freundschaften, in denen du vertrauensvolle Gespräche führen kannst?
  • Welche sozialen Kontakte sind für dich am wichtigsten?
  • Hast du eine Partnerin/ einen Partner oder wünschst du dir eine/einen?
  • Bist du mit deiner Beziehung zufrieden? Erfüllt sie dich?
  • Welche Rolle spielt deine Familie für dich? Welchen Stellenwert nimmt sie in deinem Leben ein?

Wie bewertest du den gesamten Lebensbereich ganz subjektiv auf einer Skala von 0-10? Mache deine Bewertung in der Visualisierung deutlich.

Körper & Gesundheit: In diesem Bereich geht es um die mentale und körperliche Gesundheit, das Aussehen, Alter, Ernährung, das Sexualleben etc. 

  •  Wie gesund fühlst du dich aktuell?
  • Kümmerst du dich um deine Gesundheit?
  • Achtest du auf eine gesunde Ernährung?
  • Bewegst du dich regelmäßig?
  • Achtest du darauf, dass dein Körper die Ruhe und Anregung bekommt, die er benötigt?
  • Welche körperlichen Einschränkungen oder Erkrankungen hast du vielleicht?
  • Wie ist dein Verhältnis zu deinem Körper? 
  • Magst du deinen Körper und lebst im Einklang mit ihm oder arbeitest du womöglich sogar gegen ihn?
  • Erfüllt dich dein Sexualleben?
  • Wie ist deine aktuelle mentale Verfassung? Wie fühlst du dich?
  • Hattest du in der Vergangenheit Erlebnisse, die dich belasten?
  • Wie ist deine emotionale Grundstimmung?
  • Wie geht es dir mit deinen Gedanken?

Wie bewertest du den gesamten Lebensbereich ganz subjektiv auf einer Skala von 0-10? Mache deine Bewertung in der Visualisierung deutlich. 

Werte & Sinn: Hier geht es um Themen wie Spiritualität und persönliche Lebensphilosophien, soziales/politisches Engagement, Religion, Weltanschauung – das eigene Normengerüst, die persönliche Wertorientierung, Ethik und Religion etc. 

  • Welche Werte und Themen in deinem Leben sind dir wirklich wichtig?
  • Kannst du deine Werte leben?
  • Fühlst du dich mit dir und deiner Umwelt verbunden?
  • Kannst du nach deinen Prinzipien und Idealen dein Leben ausrichten?
  • Stehst du für deine Überzeugungen ein?
  • Bereichern deine Grundsätze und Prinzipien dein Leben und geben dir Orientierung oder engen sie dich ein?
  • Kannst du dein Potenzial im Leben entfalten, deinen Sinn leben?

Wie bewertest du den gesamten Lebensbereich ganz subjektiv auf einer Skala von 0-10? Mache deine Bewertung in der Visualisierung deutlich.

Schau dir dein Lebenshaus an – was fällt dir auf?

Du hast jetzt alle Lebensbereiche erkundet und auch deine eigene persönliche Bewertung vorgenommen. Wenn du auf deine Visualisierung schaust, siehst du, dass die einzelnen Säulen die Identität tragen. Das ist dein persönliches Lebenshaus. Dieses Bild macht deutlich, dass gut ausgeprägte Säulen zur Stabilität beitragen. Sie geben Rückhalt und sind Ressource. Sie helfen dir, in Krisen widerstandsfähig zu sein und unterstützen dich bei deinem kraftvollen, kongruenten Handeln. Sind jedoch eine oder mehrere Säulen beschädigt oder einfach sehr schwach ausgeprägt, dann können sie in Krisen die gesamte Identität ins Wanken bringen. 

 

Jeder Mensch ist anders

Allgemein kann man sagen, dass Lebenshäuser sehr unterschiedlich aussehen können. Jede dieser Säulen schenkt Identität und Erfüllung – und jeder Mensch unterscheidet sich anhand seiner persönlichen Prioritäten. Es gibt im Leben immer Bereiche, die persönlich wichtiger sind als andere. So bestimmen auch manchmal einfach die Lebensumstände und -situationen die Wertigkeiten. Spielen in einem bestimmten Alter vielleicht Arbeit und Leistung eine große Rolle, ist es zu einem anderen Zeitpunkt möglicherweise der Bereich Gesellschaft und Soziales. Die Wertigkeit jeder Säule bestimmt jeder Mensch individuell. Und so kann ein Außenstehender sich auch gar kein Urteil erlauben. Es geht immer um dein persönliches Empfinden. Manchmal geht man vielleicht auch ganz bewusst eine “Schuld” in einem Bereich ein – in dem Wissen, dass es sich um eine begrenzte Zeit handelt. Auch das ist in Ordnung. Gemäß dem integrativen Verständnis beeinflussen sich die Säulen wechselseitig und sind immer als Einheit zu verstehen – sie können sich zum Teil auch gegenseitig abfangen. 

Auf Dauer führen Dysbalancen jedoch zu Unzufriedenheit und Selbstzweifeln, da sie unser Identitätsgerüst ins Wanken bringen. Im schlimmsten Fall führen sie in schwierigen Zeiten zu echten Krisen. Sie zeigen uns aber auch, wo wir ansetzen können, um wieder zu Kräften zu kommen. 

 

Was fällt dir bei deinem persönlichen Lebenshaus auf?

Was hat dich zu dem gemacht, der du jetzt bist?

Was kannst du daran feiern und wertschätzen?

In welchem Bereich ist deine Aufmerksamkeit gefragt?

 

Vielleicht kannst du dich jetzt einfach feiern und dankbar sein, wie gut du gerade aufgestellt bist. Das ist prima. Vielleicht bist du aber auch gerade etwas aus der Balance und möchtest dir selbst mehr Aufmerksamkeit schenken. Dann denk daran, dass die Bereiche sich gegenseitig stützen. Das bedeutet, es gibt immer gute Nebeneffekte. Nimm dir also nicht zuviel vor 😉

Und manchmal sind ganz kleine, stetige Schritte ein guter Weg. Vielleicht kannst du dir eine gute Gewohnheit etablieren, die dich unterstützt den ein oder anderen Bereich zu nähren. Wenn du dazu nach Tipps suchst, dann kannst du dich in unserem Blogartikel „Routinen verändern – Gewohnheiten etablieren“ inspirieren lassen.

Wir hoffen du hattest Freude an der kleinen Erkundung und wünschen dir weiter gutes Gelingen.